Aufstand und Massaker auf dem Mili-Atoll

Im Februar 1945 kam es auf dem Mili-Atoll zu einem Massaker an koreanischen Zwangsarbeitern. Das Ereignis wird auf den Marshallinseln kaum thematisiert.

Mili-Atoll 1945: Aufstand, Hunger und Gewalt

Ein dunkles Kapitel in der Endphase des Zweiten Weltkriegs: Auf dem Mili-Atoll in den Marshallinseln, einem damals strategisch wichtigen Stützpunkt des japanischen Kaiserreichs, kam es im Februar 1945 zu einem kaum bekannten Massaker. Ab 1942 waren etwa 800 bis 1.000 koreanische Zwangsarbeiter unter katastrophalen Bedingungen auf dem Mili-Atoll zur Errichtung militärischer Infrastruktur eingesetzt.

Mili – ein Pfeiler im japanischen Festungsgürtel

Während weite Teile Mikronesiens bereits seit 1914 unter japanischer Kontrolle standen, wurde das Mili-Atoll ab den 1930er-Jahren systematisch militarisiert. Als südöstlich gelegener Vorposten innerhalb der japanischen Mandatszone war Mili Teil eines weitgespannten Verteidigungsrings, der das Kaiserreich gegen eine Invasion der Alliierten abschirmen sollte. Die Anlage umfasste unter anderem ein Flugfeld, Radarstationen, Bunker sowie schwere Küstenartillerie. Viel davon errichtet unter Zwangsarbeit.
Trotz seiner peripheren Lage wurde das Mili von der US-Navy ab 1943 massiv bombardiert. Eine Invasion erfolgte jedoch nie: Die Alliierten entschieden sich für eine Bypass-Strategie, um besonders stark befestigte Atolle der Marshallinseln wie Mili, Jaluit oder Wotje zu umgehen und stattdessen Kwajalein und Majuro einzunehmen. Trotz Hunger und Versorgungsnotstand hielt die japanische Garnison auf Mili bis zur Kapitulation Japans im August 1945 durch und war eine der letzten Einheiten, die sich im Pazifik ergaben.

Koreanische Zwangsarbeit im Pazifikkrieg

Zur Errichtung der militärischen Infrastruktur auf den Marshallinseln wurden bis zu eintausend koreanische Männer nach Mili deportiert. Größtenteils zwangsverpflichtet aus der damaligen japanischen Kolonie Korea. Insgesamt zwangen die japanischen Behörden während des Pazifikkriegs Hunderttausende Koreaner zur Arbeit an Frontlinien, in Minen oder auf Militärstützpunkten – auch auf anderen mikronesischen Inseln.
So sind Einsätze koreanischer Arbeitskräfte beispielsweise auch von Palau, Saipan, Truk (Chuuk) und Nauru belegt, wo sie häufig unter ähnlich katastrophalen Bedingungen lebten: Mangelernährung, Tropenkrankheiten, Misshandlungen durch Vorgesetzte und völlige Rechtlosigkeit prägten den Alltag. Viele überlebten die Entbehrungen nicht und noch weniger fanden nach dem Krieg Gehör.

Zwangsarbeit unter extremen Bedingungen

Die Zwangsrekrutierten lebten isoliert und unterversorgt auf dem Mili-Atoll, weitab jeder Öffentlichkeit. Als sich die Versorgungslage dramatisch verschlechterte, wurden die Männer laut späteren Berichten gezwungen, das Fleisch verstorbener Kameraden als „Walfleisch“ zu essen. Die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap berichtet: „They were served the flesh of their colleagues, disguised as ‘whale meat,’ after the Japanese forces ran out of food.“¹

Kannibalismus als Tabubruch

Der Zwang zum Kannibalismus war ein Tabubruch, der letztlich eine offene Rebellion auslöste: Die Arbeiter töteten sieben ihrer Aufseher. Was darauf folgte, war ein brutales Strafgericht durch japanische Kommandos. Laut der Korea JoongAng Daily wurden etwa 100 koreanische Arbeiter exekutiert: „Some 100 Koreans forcibly mobilized by Japan to build military facilities on the Marshall Islands were indiscriminately killed in a rebellion that appears to have started after they were forced to eat human flesh.“²

Stimmen der Überlebenden

Der südkoreanische Zeitzeuge Lee In-shin (geb. 1923) berichtete Jahrzehnte später in Interviews von Leichen, die im Meer trieben, von einer Insel, die „von Fliegen überfüllt“ war. Bereits 2006 schilderte die Dong-A Ilbo, wie Lee 1943 zur Arbeit auf Mili gezwungen wurde:
„Lee was forced to labor in the tropical hot weather … the supply of food was suspended.“³
Nach einer dreijährigen Untersuchung, gestützt auf Zeitzeugenberichte und Archivdokumente, erkannte die südkoreanische Regierung das Massaker 2010 offiziell an.

Erinnerung, Schweigen und das historische Vakuum

In Südkorea ist das Ereignis heute Teil des öffentlichen Diskurses, auch wenn es – wie viele Kapitel der japanischen Kolonialzeit – lange beschwiegen wurde. Medien und Überlebende betonen besonders die erzwungene Entmenschlichung, die in diesem Fall bis zur Erzwingung von Kannibalismus reichte.
Auf den Marshallinseln hingegen ist das Massaker kaum präsent. In Schulbüchern, Gedenkorten oder offiziellen Reden fehlt jede Erwähnung. Zwar verweisen Historiker wie der Australier Dirk Spennemann auf Zwangsarbeit und Unterdrückung unter japanischer Herrschaft, doch das Massaker von Mili bleibt ein blinder Fleck. Lokale Oral-History-Projekte erfassen teilweise einzelne Erinnerungen an die japanische Besatzungszeit, jedoch ohne explizite Fokussierung auf das Massaker.
Dabei zeigt das Mili-Massaker exemplarisch, wie leicht solche Ereignisse aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden können, wenn es keine Archive, Gedenkpolitik oder mediale Erinnerung gibt.

Fußnoten und Quellen

Yonhap News Agency, zit. nach: Korea JoongAng Daily, 4. Okt. 2010 – Link
Korea JoongAng Daily, „Japan’s massacre of Korean laborers at Marshall Islands confirmed“, 4. Okt. 2010 – Link
Dong-A Ilbo, „218 victims of ‘Mili Atoll incident’ disclosed“, 8. Juni 2024 – Link