Länderporträt: Kiribati
Kaum ein Inselstaat ist so weit über den Pazifik verstreut und kaum einer wird so oft auf das Stichwort „Klimawandel“ reduziert. Doch Kiribati ist mehr als ein Mahnmal für steigende Meere. Zeit, genauer hinzusehen.
Die Flagge von Kiribati: Der Fregattvogel symbolisiert Macht und Freiheit, die aufgehende Sonne steht für den Äquator, die Wellen für den Pazifik. Quelle: Wikimedia Commons (Public Domain)
📦 Infobox: Kiribati
Fläche: 811 km² (auf über 5.000 km verstreut)
Bevölkerung: ca. 130.000 (Stand 2025)
Sprache: Kiribatisch, Englisch
Staatsform: Präsidialrepublik
Unabhängig seit: 12. Juli 1979
Währung: Australischer Dollar (AUD)
Religion: überwiegend christlich
Wichtigste Exportgüter: Fischlizenzen, Kopra, Seetang
Herausforderungen: Klimawandel, Migration, Landmangel
Geografie: Weit verstreut im Pazifik
Kiribati (ausgesprochen: Kiribas) ist ein Inselstaat der Superlative und der Extreme. Mit seinen 33 Atollen und Inseln verteilt sich der Staat auf drei weit auseinanderliegende Inselgruppen: Gilbertinseln, Phoenixinseln und Line Islands. Insgesamt erstreckt sich Kiribati über mehr als 5.000 Kilometer. Von der Datumsgrenze bis knapp südlich von Hawaiʻi. Zum Vergleich: Die Entfernung von der West- zur Ostküste der USA beträgt etwa 4.500 Kilometer.
Trotz dieser immensen Ausdehnung beträgt die gesamte Landfläche gerade einmal rund 811 Quadratkilometer. Der Großteil des Landes liegt nur wenige Meter über dem Meeresspiegel. Atolle wie Tarawa oder Kiritimati prägen das Landschaftsbild. Schmale Ringe aus Korallen, oft mit Süßwasserlinsen und empfindlichen Ökosystemen.
Geschichte: Vom Königreich zur geteilten Unabhängigkeit
Die Gilbertinseln waren jahrhundertelang von mikronesischen Gemeinschaften besiedelt, mit eigenen politischen Strukturen, die später durch Samoaner und Tongaische Einflüsse ergänzt wurden.
1892 wurden sie Teil des britischen Protektorats „Gilbert- und Elliceinseln“, das 1916 zur Kronkolonie wurde. Im Zweiten Weltkrieg geriet Kiribati ins Fadenkreuz der Kriegsparteien: Tarawa war 1943 Schauplatz einer der blutigsten Schlachten des Pazifikkriegs.
Nach dem Krieg setzten politische Reformen ein. Die Elliceinseln (Tuvalu) trennten sich 1975 durch Referendum. Kiribati wurde 1979 unabhängig, wobei der neue Staatsname bewusst die einheimische Lautung der „Gilberts“ aufgriff.
Politik und Gesellschaft: Präsidentielles System unter schwierigen Bedingungen
Kiribati ist eine republikanische Präsidialdemokratie mit einem Einkammerparlament (Maneaba ni Maungatabu) und einem direkt gewählten Präsidenten (Beretitenti). Politische Parteien sind locker organisiert; Persönlichkeiten und lokale Netzwerke spielen eine zentrale Rolle.
Die Bevölkerung – rund 130.000 Menschen, etwa die Hälfte davon auf South Tarawa – ist jung, wachsend und überwiegend christlich. Die Landknappheit, die extreme Urbanisierung in Tarawa und der Mangel an Arbeitsplätzen prägen das gesellschaftliche Klima.
Wirtschaft: Zwischen Subsistenz, Auswanderung und Satellitenraum
Die wirtschaftliche Basis Kiribatis ist fragil: Fischfangrechte, Entwicklungshilfe, Rücküberweisungen und der Ertrag eines international angelegten Staatsfonds (aus Phosphateinnahmen der Insel Banaba) sind die wichtigsten Devisenquellen.
Lokale Landwirtschaft ist begrenzt – Pandanus, Kokospalmen und Taro dominieren. Der Export beschränkt sich meist auf getrocknetes Kokosnussfleisch (Kopra). Tourismus spielt abseits von Kiritimati kaum eine Rolle.
Seit 2015 wird Kiribati gelegentlich für ambitionierte Pläne zum Satellitenstartplatz auf Kiritimati oder als offshore-Domizil für Tech-Projekte genannt; meist ohne nachhaltigen Erfolg.
Klimawandel: Wenn das Meer zur Politik wird
Kiribati ist Sinnbild für die Dringlichkeit globaler Klimapolitik. Kaum ein anderes Land ist so akut vom Meeresspiegelanstieg betroffen. Doch auch interne Faktoren spielen eine Rolle: Erosion durch Sandentnahme, Kanalbauten oder Bevölkerungsdruck auf dicht besiedelten Atollen wie South Tarawa verschärfen die Lage.
Ehemaliger Präsident Anote Tong machte Kiribati zu einer international hörbaren Stimme, mit Konzepten wie „Migration mit Würde“ oder dem Landkauf auf Fidschi als mögliche Zukunftsstrategie. Die Regierung verfolgt heute einen pragmatischeren Kurs, bei dem Klimaanpassung, Diplomatie und Souveränität zusammengedacht werden.
Einspruch gegen das Narrativ: Kiribati ist nicht nur Klimazeuge
In vielen europäischen Medien erscheint Kiribati nur als „Land, das bald im Meer versinkt“. Diese Erzählung ignoriert, dass die Menschen in Kiribati mehr sind als Symbole: Sie organisieren Nachbarschaften, betreiben politische Debatten, fordern Verantwortung – intern wie extern.
Gleichzeitig wird ausgeblendet, dass Umweltprobleme auch lokal mitverursacht werden: durch schlecht geplante Infrastrukturprojekte, fehlende Müllentsorgung oder Abgrabungen. Ein ehrlicher Blick auf Kiribati muss beides sehen: die globalen Ursachen und die lokalen Handlungsspielräume.
Kulturelles und Kurioses: Datumsgrenze, Atomtests und Diaspora
Die Insel Banaba, geologisch eine der wenigen Hochinseln des Landes, wurde durch den britisch-australischen Phosphatabbau fast völlig zerstört. Ihre Bevölkerung lebt seit 1945 überwiegend im Exil auf Rabi Island (Fidschi). Ein bis heute ungelöster politischer Konflikt.
Kiritimati ist nicht nur das größte Atoll der Welt, sondern war auch Kulisse für britische und amerikanische Atomtests in den 1950er- und 60er-Jahren.
Kiribati war 1995 das erste Land, das sich durch eine Änderung der Datumsgrenze einen national einheitlichen Kalender sicherte. Seither beginnt dort jedes neue Jahr weltweit zuerst.
Traditionelle Tänze, Gesänge und Bastkünste sind lebendige Elemente des kiribatischen Alltags. Trotz zunehmender Mobilität bleibt die Zugehörigkeit zum eigenen Maneaba (Versammlungshaus) für viele zentral.
Besonders in Neuseeland, wo viele I-Kiribati leben, hat sich eine aktive Diaspora-Kultur entwickelt. Mit eigenem Sprachgebrauch, Jugendgruppen und sozialen Medien als Brücke zwischen Welten.
Ausblick: Bleiben oder gehen?
Kiribati steht vor einer ungewissen Zukunft. Die Frage ist nicht nur, ob das Land überlebt, sondern wie: physisch, kulturell, politisch. Zwischen Resilienz, Migration, Reformdruck und regionaler Zusammenarbeit zeigen viele Stimmen: Kiribati ist nicht stumm, sondern stellt sich aktiv der eigenen Zukunft im Pazifik und darüber hinaus.
Haben Sie Fragen, Hinweise oder eigene Erfahrungen mit Kiribati? Schreiben Sie uns. Mar Pacífico lebt vom Austausch.