Tiefseebergbau im Pazifik: Hoffnung oder Albtraum?

Warum die Inselstaaten Ozeaniens in der Frage der Meeresbodenschätze gespalten sind

Die Tiefsee zwischen Hawaii, Kiribati und Neuseeland ist mehr als nur ein weitgehend unerforschtes Ökosystem. Sie ist eine geopolitische Grenzregion, ein wissenschaftliches Niemandsland und eine rohstoffreiche Schatzkammer. Auf dem Meeresboden schlummern Milliarden Tonnen sogenannter Manganknollen, die Kobalt, Nickel und andere Metalle enthalten. Ohne sie wären moderne Batterien, Windkraftanlagen oder Serverfarmen nicht denkbar.

Doch was für Technologie-Konzerne nach Zukunft klingt, bedeutet für viele pazifische Staaten einen tiefen Zielkonflikt. Denn ausgerechnet in ihren ausschließlichen Wirtschaftszonen – und in internationalen Gewässern vor ihrer Haustür – wird nun verstärkt über den großflächigen Abbau nachgedacht. Während einige Länder darin eine ökonomische Chance sehen, schlagen andere Alarm: aus Sorge vor irreparablen Schäden an einem der empfindlichsten Ökosysteme der Erde.

Keine einheitliche Front: Ozeanien ringt mit sich selbst

Entgegen dem Eindruck vieler internationaler Berichte sprechen die Inselstaaten des Pazifik nicht mit einer Stimme, wenn es um den Tiefseebergbau geht. Die Meinungen driften auseinander. Teils entlang nationaler Interessen, teils abhängig von historischen Erfahrungen mit Ressourcenabbau, Abhängigkeiten und Umweltzerstörung.
Zu den Befürwortern zählen vor allem kleinere Inselstaaten, die auf wirtschaftliche Diversifizierung angewiesen sind.
Allen voran Nauru: 2021 aktivierte der Zwergstaat die sogenannte „Two-Year Rule“ bei der International Seabed Authority (ISA). Ein Verfahren, das die Entwicklung verbindlicher Abbauregeln beschleunigen soll. Naurus Partner: das kanadische Unternehmen The Metals Company. Auch Kiribati und Tonga zeigen sich offen für Explorationspartnerschaften – zum Teil mit chinesischer Beteiligung. Die Cookinseln haben bereits nationale Lizenzen zur Erkundung vergeben und pochen auf ihr Recht zur Nutzung eigener Ressourcen, allerdings unter staatlicher Aufsicht.
Das Kalkül: Der Zugang zu Rohstoffvorkommen im Milliardenwert könnte dringend benötigte Einnahmen generieren. Angesichts hoher Arbeitslosigkeit und begrenzter Wirtschaftsoptionen erscheint der Meeresboden mancherorts als letzter Hoffnungsträger und als Chance, sich ein Stück ökonomischer Souveränität zurückzuerobern.

Widerstand wächst: „No mining in my Moana“

Doch längst formiert sich Widerstand und er ist alles andere als leise. Immer mehr pazifische Staaten stellen sich quer – aus ökologischer, kultureller und politischer Überzeugung.
Fidschi, Vanuatu, Palau und Samoa fordern ein sofortiges Moratorium. Tuvalu plädiert für eine „vorsorgliche Pause“ („Precautionary Pause“), bis die ökologischen Auswirkungen besser erforscht sind. Besonders deutlich äußert sich French Polynesia: Präsident Moetai Brotherson kündigte an, einen Abbau in seinen Gewässern „über seine Leiche“ zu verhindern.
Auch die Marshallinseln, Papua-Neuguinea und die Föderierten Staaten von Mikronesien unterstützen Moratoriumsinitiativen, zuletzt in der gemeinsamen „Udaune Declaration“ der Melanesian Spearhead Group.
Ihre Bedenken: Tiefseebergbau könne irreversible Schäden verursachen, etwa durch Sedimentwolken oder die Zerstörung bislang unberührter Lebensräume. Zudem mangele es an langfristigen Studien zu den ökologischen und sozialen Folgen. Die Kritik richtet sich auch an ausländische Konzerne, denen vorgeworfen wird, Gewinne zu extrahieren und Risiken auszulagern auf Kosten der lokalen Bevölkerung und künftiger Generationen.

HaltungStaatenBemerkung
Für AbbauNauru, Kiribati, Cookinseln, Tonga (Exploration)Interesse an Einnahmen aus dem Tiefseebergbau
Gegen / MoratoriumFranzösisch Polynesien, Palau, Fiji, Samoa, Vanuatu, Tuvalu, FSM, Papua Neuguinea, MarshallinselnVor allem Umwelt- und Biodiversitätsschutz

Globales Machtspiel unter Wasser

Der Streit um den Tiefseebergbau ist längst zur geopolitischen Frage geworden. Die USA sprechen sich gegen ein weltweites Moratorium aus und unterstützen stattdessen kommerzielle Initiativen. China blockiert entsprechende Bemühungen innerhalb der ISA und sichert sich Explorationsrechte in strategisch wichtigen Zonen. Deutschland und Frankreich wiederum fordern ein Aussetzen von Genehmigungen, zumindest bis ein internationales Regelwerk etabliert ist.
Die International Seabed Authority, eigentlich für die Regulierung und den Schutz des internationalen Meeresbodens zuständig, steht dabei zunehmend unter Druck. Kritiker werfen ihr mangelnde Transparenz und Interessenkonflikte vor. Die Uhr tickt: Sollte bis zum Ablauf der von Nauru ausgelösten Frist kein Regelwerk stehen, könnte ein Präzedenzfall geschaffen werden mit globalen Auswirkungen.

Stimmen aus dem Pazifik

„Wir dürfen nicht erneut zulassen, dass unser Ozean kolonial ausgebeutet wird.“
Hilda Heine, ehemalige Präsidentin der Marshallinseln
„Wenn wir es nicht tun, tun es andere – ohne uns. Dann lieber mit klaren Regeln, unter unserer Aufsicht.“
Vertreter aus Nauru, anonym auf einem ISA-Forum


Die Spannweite dieser Zitate zeigt, wie sehr die Diskussion um den Tiefseebergbau nicht nur wirtschaftliche und ökologische, sondern auch historische Dimensionen berührt. In vielen Staaten ist das Misstrauen gegenüber äußeren Eingriffen tief verwurzelt. Ein Echo kolonialer Ausbeutung und geopolitischer Fremdbestimmung.

Zwischen Kontrolle und Konsequenz

Der Pazifik steht an einem Scheideweg. Der Wunsch nach Eigenständigkeit und Wohlstand trifft auf die Verantwortung, eines der letzten weitgehend intakten Ökosysteme zu bewahren. Die Frage ist nicht nur, ob Tiefseebergbau überhaupt stattfinden soll, sondern auch wie, wo und unter wessen Kontrolle.
Fest steht: Der Meeresboden des Pazifik ist nicht nur rohstoffreich, sondern auch konfliktreich. Die Region wird in dieser Debatte oft als einheitlicher Raum betrachtet. Dabei zeigt sich gerade hier, dass Ozeanien eine komplexe, heterogene und vielstimmige Welt ist. Und genau darin liegt ihre Stärke: in der Vielfalt der Perspektiven auf eine Zukunft, die sich unter Wasser entscheidet.