Angam Day: Naurus Tag des Überlebens

Ein Feiertag zwischen Auslöschung und Hoffnung, der zugleich ein Spiegel jener existenziellen Erschütterungen ist, welche Kolonialismus, Krieg und Fremdbestimmung über die Insel gebracht haben.

Nauru aus der Vogelperspektive: Die kleinste Inselrepublik der Welt feiert am 26. Oktober den Angam Day. Bildquelle: https://www.flickr.com/photos/62474925@N04/9381837633

Am 26. Oktober feiert Nauru jedes Jahr den Angam Day – ein Tag des Stolzes, der Erinnerung und der Selbstbehauptung. „Angam“ bedeutet im Nauruischen so viel wie Heimkehr, Ziel erreicht oder Triumph nach Mühsal. Gefeiert wird das Überleben eines Volkes, das im 20. Jahrhundert gleich zweimal an den Rand der Auslöschung geriet, unter Bedingungen, die eng mit Kolonialpolitik, Krieg und Fremdherrschaft verknüpft waren.

Zwei Mal fast verschwunden

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten rund 1.550 ethnisch nauruische Menschen auf der Insel. Doch eingeschleppte Krankheiten, soziale Umwälzungen und massive ökologische Eingriffe durch den Phosphatabbau führten zu einem drastischen Bevölkerungsrückgang. Besonders fatal war die Kombination aus dem Import ausländischer Arbeitskräfte, insbesondere aus China und Kiribati (damals Gilbertinseln genannt), und einem damals noch sehr rudimentären Gesundheitssystem. Die medizinische Versorgung war begrenzt und konnte die Ausbreitung von Krankheiten kaum eindämmen.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Nauru nicht unabhängig, sondern im Rahmen eines Völkerbundmandats von Australien, Neuseeland und Großbritannien verwaltet, wobei Australien als dominierende Verwaltungs- und Militärmacht fungierte. 1919 ordnete der australische Administrator Thomas Griffiths eine Volkszählung an. Das Ergebnis war alarmierend: Die Zahl der einheimischen Nauruerinnen und Nauruer war so stark zurückgegangen, dass die Kolonialverwaltung in Absprache mit den lokalen Chiefs ein Mindestmaß für den Fortbestand der nauruischen Gemeinschaft festlegte: 1.500 Personen.

Man einigte sich darauf, dass das Erreichen dieser Zahl künftig mit einem Feiertag gefeiert werden sollte, dem sogenannten Angam Day.

Das erste Angam-Baby

Es dauerte 13 Jahre. Am 26. Oktober 1932 wurde schließlich das 1.500. nauruische Kind geboren: Eidagaruwo. Sie wurde zur Symbolfigur einer ganzen Generation, zum ersten Angam Baby. In der Nacht brannten an den Stränden Naurus große Freudenfeuer. Der Name des Mädchens, von den Chiefs und Administratoren gemeinsam vergeben, bedeutet so viel wie „Ziel erreicht“ oder „nach Hause gefunden“.
Doch die Erleichterung währte nicht lange.

Krieg, Besatzung, Deportation und das Ende der Hoffnung

Im Zweiten Weltkrieg wurde Nauru im August 1942 von Japan besetzt. Die strategisch gelegene Insel diente dem Kaiserreich als Vorposten im Zentralpazifik. Die japanischen Besatzer deportierten 1943 rund 1.200 Nauruer auf die mikronesische Insel Truk (heute Chuuk, Föderierte Staaten von Mikronesien). Die Bedingungen dort waren katastrophal: Hunger, Krankheiten und Gewalt forderten viele Todesopfer.
Nur 737 kehrten nach Kriegsende zurück. Auch Eidagaruwo, das erste Angam-Baby, überlebte das Exil nicht. Sie erlag den Folgen von Hunger und einer Infektion, wie sie unter den damaligen Lagerbedingungen häufig auftraten.

Ein zweites Angam

Nach dem Krieg wurde Nauru zunächst zum UNO-Treuhandgebiet unter einer australisch geführten UN-Treuhandverwaltung mit britisch-neuseeländischer Beteiligung. Die Bevölkerung hatte sich erneut drastisch verringert. Wieder galt es, die kritische Marke von 1.500 nauruischen Menschen zu erreichen. Am 31. März 1949 war es so weit: In Boe wurde Bethel Enproe Adam geboren: das zweite Angam-Baby. Seitdem wird der 26. Oktober jedes Jahr als offizieller Nationalfeiertag begangen, obwohl das Kind an einem anderen Tag geboren wurde.

Gedenken, Stolz und die Frage nach der Zukunft

Noch 2017 erinnerte sich die 91-jährige Muriel Cecil, eine Überlebende des Truk-Exils und damals älteste Nauruerin, an die Rückkehr nach Nauru. In einer feierlichen Rede trug sie eine Replik des Kleides, das sie 1946 bei der Heimkehr getragen hatte. Ihre Worte waren eindrücklich: Der Angam Day ist nicht nur Festtag, sondern auch Mahnung an Leid, Verlust und Wiedergeburt.
Für Nauru bleibt Angam ein tief verwurzelter Moment nationaler Identität. Doch die Bedrohungen des 20. Jahrhunderts sind nicht verschwunden, sie haben nur ihre Gestalt geändert: Klimawandel, wirtschaftliche Abhängigkeit und politische Isolation prägen die Gegenwart.

Empfehlenswerte Quellen zum Weiterlesen

1. Angam Day – Nauruan Stories (Regierung Nauru)
Eine offizielle Darstellung der historischen Bedeutung von Angam Day durch die Regierung der Republik Nauru. Erläutert die Ursprünge, kulturelle Bedeutung und feierliche Bräuche in einem übersichtlichen Format. 👉 https://www.nauru.gov.nr/about-nauru/nauruans‘-stories/angam-day.aspx
2. „Angam Day: Nauru Commemorates Survival“ – Blogartikel auf HALENDAR
Ein anschaulich geschriebener Artikel über Angam Day, mit Details zu den Festivitäten: Volkssport, traditionelle Spiele, gemeinsames Feiern und den kulturellen Hintergrund. 👉 https://halendar.wordpress.com/2020/10/28/angam-day-nauru-commemorates-survival/