Darlene Keju: Stimme gegen das Schweigen
Darlene Keju war keine Präsidentin, keine Ministerin, keine Diplomatin und doch veränderte sie den Pazifik. Mit Mut, Wissen und unermüdlichem Engagement konfrontierte die Marshallesin die Weltöffentlichkeit mit den verheerenden Folgen der US-Atomtests im Pazifik. Ihr Name steht heute für Aufklärung, Gerechtigkeit und für die Kraft einer einzigen Stimme, die das Schweigen durchbricht.

Eine Kindheit im Schatten der Tests
Darlene Keju wurde 1951 auf Ebeye, einer überfüllten Insel im Kwajalein-Atoll, geboren und wuchs auf dem entlegenen Wotje-Atoll auf. Nur wenige Flugstunden von jenen Orten entfernt, an denen die USA zwischen 1946 und 1958 insgesamt 67 Atomwaffen zündeten, darunter die berüchtigte Wasserstoffbombe Castle Bravo auf Bikini. Die radioaktive Wolke erreichte zahlreiche Atolle, darunter Rongelap, Utirik und auch Wotje. Tausende Menschen wurden unbemerkt verstrahlt.
Darlene erlebte aus nächster Nähe, wie Bewohner evakuiert wurden, wie Krankheiten zunahmen und wie man darüber schwieg.
Von Hawaiʻi zurück nach Hause
Nach dem Schulabschluss in Honolulu und einem Master in Public Health an der University of Hawaiʻi kehrte Keju 1984 in die Marshallinseln zurück. Doch statt sich im Gesundheitsministerium einzugliedern, baute sie mit Jugendlichen eine eigene Organisation auf: Youth to Youth in Health (YTYIH). Sie schuf einen Raum, in dem junge Menschen über Sexualität, Gewalt, Gesundheit und Missbrauch sprechen konnten – Themen, die in der stark christlich geprägten Gesellschaft tabuisiert waren. Aber Keju wollte mehr: Sie wollte die Wahrheit ans Licht bringen.
Der große Auftritt – Vancouver, 1983
Bereits 1983 stand Darlene Keju auf der Bühne der Weltkirchenversammlung in Vancouver. Vor hunderten Delegierten schilderte sie ruhig, aber eindringlich die Realität im Marshallinseln: Von „Jellyfish Babies“ mit schwersten Fehlbildungen war die Rede, von Menschen, die ohne ihr Wissen verstrahlt worden waren und von einer US-Regierung, die nur vier Atolle offiziell als „betroffen“ anerkannte, während viele weitere kontaminiert waren. Ihre Rede wurde ein Schlüsselmoment:
„Sie riss den Schleier des Schweigens herunter“, so beschrieb es später die niederländische Pazifik-Aktivistin Madeleen Helmar.
Zwischen Politik und Empathie
Darlene Kejus Stärke lag nicht nur in ihrer Sachkenntnis, sondern in ihrer Fähigkeit, Menschen zu erreichen. Sie sprach mit Würde, aber ohne Zorn. Ihre Kritik an den USA war präzise, aber nie populistisch. Sie verkörperte jene Form von moralischer Autorität, die sich nicht in Macht, sondern in Mitgefühl ausdrückt.
In Interviews, auf Reisen in Kanada, Europa und bei NGOs wurde sie zur wichtigsten pazifischen Stimme gegen die Atomwaffenfolgen.

Viel zu früh
1996, mit nur 45 Jahren, starb Darlene Keju an Brustkrebs, einer Erkrankung, die viele Marshallesen mit den nuklearen Belastungen in Verbindung bringen. Ihre Beerdigung fand in Hawaiʻi statt, begleitet von Gesang, Reden und Erinnerungen an eine Frau, die ihre Heimat nie verraten, aber die Welt nie geschont hatte.
Ihr Ehemann, der Journalist Giff Johnson, schrieb später das Buch Don’t Ever Whisper – eine Mischung aus Biografie, Zeitgeschichte und stillem Nachruf. Der Titel verweist auf Darlenes Haltung: Wer Gerechtigkeit sucht, darf nicht flüstern.
Vermächtnis
Auch Jahrzehnte nach ihrem Tod bleibt Kejus Wirkung spürbar. Die Organisation Youth to Youth in Health existiert noch heute. Ihr Name steht auf Listen von Aktivistinnen, denen Denkmalcharakter zugeschrieben wird – in einer Region, deren Leid lange ignoriert wurde.
2013, fast zwei Jahrzehnte nach ihrem Tod, wurde sie von der Zeitschrift Islands Business posthum zur „Pacific Person of the Year“ gewählt. Es war mehr als eine Würdigung – es war eine Korrektur der Geschichte.
Bildquellen und Dank
Die in diesem Beitrag gezeigten Fotos stammen von Giff Johnson, dem Ehemann von Darlene Keju, und wurden für diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt. Wir danken Giff Johnson herzlich für die Unterstützung.
Sein Buch Don’t Ever Whisper – Darlene Keju: Pacific Health Pioneer, Champion for Nuclear Survivors ist u. a. auf Amazon erhältlich.
Video und Artikelempfehlung
Video (empfohlen):
Darlene Keju’s 1983 WCC Speech (World Council of Churches – YouTube)
Ein seltener Mitschnitt ihrer legendären Rede in Vancouver.
Artikel:
Linda Pentz Gunter: „The woman who tore up the curtain of silence“ – Beyond Nuclear International