Schlangen auf Guam
Auf Guam hat eine eingeschleppte Schlangenart fast alle Vögel ausgerottet und sorgt sogar für Stromausfälle und Spinnenplagen.

Der Fall der Braunen Nachtbaumnatter
Auf der tropischen Insel Guam hat sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts ein ökologischer Albtraum entfaltet, verursacht durch eine einzige invasive Tierart: die Braune Nachtbaumnatter (Boiga irregularis). Eingeschleppt vermutlich nach dem Zweiten Weltkrieg durch US-Militärtransporte aus Papua-Neuguinea, hat diese ursprünglich auf Neuguinea und den Salomonen heimische Natter eine beispiellose Umweltkrise ausgelöst. Der Fall gilt heute weltweit als mahnendes Beispiel für die zerstörerische Kraft invasiver Arten, mit drastischen Folgen für Guams Tierwelt, Wirtschaft und Alltag.
Ein blinder Passagier wird zur ökologischen Katastrophe
Die Braune Nachtbaumnatter ist eine unscheinbare, nachtaktive, leicht giftige Kletterschlange. Auf Guam traf sie auf ein perfektes Umfeld: keine natürlichen Fressfeinde, zahlreiche Nistplätze und ein Überangebot an potenzieller Beute – insbesondere Vögeln.
Die Folgen waren dramatisch. Guam beherbergte ursprünglich 14 einheimische bodenlebende Vogelarten. Laut Untersuchungen des US Fish & Wildlife Service und der Universität von Guam gelten heute mindestens zehn davon als lokal ausgestorben oder aus der Wildnis verschwunden. Besonders betroffen waren endemische Arten wie der Guam-Fliegenschnäpper oder die Guamralle, die nur durch aufwendige Zuchtprogramme überlebt haben.
Das Fehlen dieser Vögel hatte weitreichende Konsequenzen für das gesamte Ökosystem – etwa für Bestäubung, Samenverbreitung und Insektenregulation.
Stromausfälle durch Schlangen – ein unterschätztes Problem
So bizarr es klingt: Eine der alltäglichsten Folgen der Invasion betrifft Guams Stromversorgung. Die nachtaktiven Schlangen klettern in Strommasten und Umspannwerke, um Geckos oder Vögel zu jagen und lösen dabei regelmäßig Kurzschlüsse aus.
Laut einer Studie des US Geological Survey (USGS) kam es allein zwischen 1978 und 1997 zu über 1.600 Stromausfällen, im Schnitt fast 200 pro Jahr. Besonders teuer waren großflächige Blackouts, die stundenlang anhielten: Ein einziger Vorfall konnte Schäden von über 3 Millionen US-Dollar verursachen – etwa durch Produktionsausfälle und Reparaturen. Insgesamt beziffert das USGS den wirtschaftlichen Schaden in den 2000er-Jahren auf mindestens 4,5 Millionen Dollar jährlich, ohne langfristige Folgekosten wie beschädigte Infrastruktur oder Störungen im Gesundheits- und Kommunikationswesen.
Spinnenplage als Nebenwirkung des Vogelsterbens
Eine der kuriosesten und zugleich bedrückendsten Nebenwirkungen der ökologischen Schieflage auf Guam ist die explosionsartige Zunahme der Spinnenpopulationen.
Vögel sind in vielen Ökosystemen zentrale Räuber von Insekten und Spinnen. Auf Guam jedoch fehlen sie fast vollständig und mit ihnen jede natürliche Kontrolle. Die Folge: eine extreme Spinnendichte, besonders entlang von Straßenrändern und in Gärten. Eine Studie der Loma Linda University (Rogers et al., 2012) stellte fest, dass Guam 10- bis 40-mal so viele Spinnen aufweist wie vergleichbare Nachbarinseln wie Saipan oder Tinian. Vor allem große Netzspinnen konnten sich ungestört ausbreiten.
Dieses Phänomen ist ein klassisches Beispiel für eine trophische Kaskade, eine Kettenreaktion in der Nahrungskette, ausgelöst durch das Verschwinden einer Tiergruppe, in diesem Fall insektenfressender Vögel.
Paracetamol gegen Schlangen – unkonventionelle Gegenstrategie
Seit Jahrzehnten versuchen US-Behörden, Forschende und Naturschutzorganisationen, den Schlangenbestand einzudämmen. Bislang mit begrenztem Erfolg. Fallen, Schutzzäune, Spürhunde und gezielte Tötungen konnten die Ausbreitung nur punktuell begrenzen. Die hohe Reproduktionsrate und das dichte Waldgelände erschweren eine flächendeckende Bekämpfung.
Ein besonders aufsehenerregender Ansatz ist der Einsatz von Paracetamol-Ködern: Da die Schlangen schon bei geringen Dosen des Schmerzmittels sterben, werden auf Guam seit einigen Jahren speziell präparierte Köder – meist tote Mäuse mit 80 mg Paracetamol – per Hubschrauber abgeworfen, oft an kleinen Pappfallschirmen, damit sie sich in den Baumwipfeln verfangen. Die Methode ist umstritten, wird aber gezielt in der Nähe von Flughäfen und Militärbasen eingesetzt, um eine weitere Verbreitung zu verhindern.
Globale Gefahr und Warnung für Australien
Obwohl die Schlange auch in Nordaustralien heimisch ist, war sie dort nie in solcher Dichte oder ohne Fressfeinde präsent wie auf Guam. Australische Behörden warnen daher eindringlich vor einer ungewollten Einschleppung der Guam-Population auf das Festland oder auf sensible Inselökosysteme wie die Weihnachtsinsel. Ein solcher Transfer könnte verheerende Folgen für Australiens Vogelwelt haben, vor allem in Regionen ohne vergleichbare Schlangenarten.
Tatsächlich wurden auf Hawaii und anderen pazifischen Inseln mehrfach Nachtbaumnattern in Frachtcontainern oder Gepäck entdeckt mit teils drastischen Quarantänemaßnahmen zur Folge. Guam gilt heute als Hochrisikogebiet für sogenannte snake pathways – Handels- und Transportrouten, über die sich invasive Schlangen verbreiten könnten.
Zwischenfazit: Eine Lektion in ökologischer Vorsorge
Der Fall der Braunen Nachtbaumnatter auf Guam zeigt eindrücklich, wie ein scheinbar kleiner Eingriff – die unbeabsichtigte Einschleppung einer einzelnen Tierart – ein ganzes Ökosystem ins Wanken bringen kann. Die ökologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen reichen bis in die Gegenwart und gelten weltweit als eindringliche Warnung vor den Folgen invasiver Arten.
🎥 Weiterführende Videoempfehlung und Lektüretipp
Kamp Kenan Army: The Brown Tree Snake on Guam and how they got there! (englisch)
➤ YouTube-Link
Wie die Nachtbaumnatter Guams Vogelwelt auslöschte
Ein lesenswerter Artikel von GEO erklärt anschaulich, wie die eingeschleppte Nachtbaumnatter zum ökologischen Albtraum wurde und warum Guam heute kaum noch einheimische Vögel kennt.
🔗 Zum Artikel bei GEO