Von Chuuk nach California, von Majuro nach Missouri: Mikronesier in den USA

Ob in den Vororten von Honolulu, in Springdale, Arkansas, oder an der US-Westküste: Zehntausende Mikronesierinnen und Mikronesier leben heute weit entfernt von ihren Inselheimaten – oft legal, aber mit prekärem Aufenthaltsstatus. Dieser Beitrag beleuchtet Ursachen, Lebensrealitäten und Herausforderungen einer oft übersehenen Diaspora, die zwischen traditioneller Verbundenheit und moderner Migration ihren Platz sucht.


Zwischen Herkunft und Zukunft: Bildung, Integration und Zugehörigkeit prägen den Alltag vieler Mikronesier*innen in den USA. Bildquelle: https://virguezlaw.com/. Lizenz: CC BY-SA 2.0

Eine globale Inselwelt

Wenn man in Kalifornien, Oregon oder Hawaii durch bestimmte Stadtviertel spaziert, fallen sie nicht sofort auf. Und doch sind sie da: Männer mit traditionellen Tattoo-Bändern auf den Armen, Frauen, die Pandanusmatten flechten oder in Kirchenchören singen, Kinder, die zwischen Englisch, Chuukesisch und Pohnpeian wechseln. Mikronesierinnen und Mikronesier, Menschen aus den kleinen Staaten des westlichen Pazifiks, gehören seit Jahrzehnten zu den stillen Migrantengruppen in den USA. Und ihre Zahl wächst. Rund 50.000 Menschen mit Herkunft aus den Föderierten Staaten von Mikronesien (FSM), Palau und den Marshallinseln leben heute dauerhaft in den USA. Viele von ihnen in Gegenden, wo man Pazifikinsulaner nicht vermuten würde: etwa im Landesinneren von Arkansas oder Kansas.

Das Compact of Free Association – ein Migrationsabkommen mit Geschichte

Der Grund für diese Migration ist historisch einzigartig: Die Freien Assoziierungsabkommen (Compact of Free Association, kurz COFA) ermöglichen es Bürgern aus drei pazifischen Staaten – FSM, Marshallinseln und Palau – seit den 1980er-Jahren, visafrei in die USA einzureisen und zu leben. Im Gegenzug erhält die USA weitreichende militärische Nutzungsrechte über die Inselregionen.
Was ursprünglich als Sicherheitsdeal im Kalten Krieg gedacht war, wurde für viele Familien zur Überlebensstrategie. Denn: Auf ihren Inseln leiden viele Mikronesier unter steigenden Lebenshaltungskosten, begrenzten Berufsperspektiven und Umweltproblemen, besonders auf kleinen Atollen wie Kili oder Pingelap. Migration ist oft die einzige Option.

Wohin gehen sie? Die wichtigsten Diaspora-Zentren

Drei Orte stechen hervor:
Hawaii: Mit schätzungsweise 20.000 Mikronesier (v. a. aus Chuuk und den Marshallinseln) lebt hier die größte pazifische Diaspora-Gruppe. Honolulu hat eigene Kirchen, Food Trucks und Treffpunkte für verschiedene Inselgruppen.
US-Westküste (v. a. Oregon und Washington): Städte wie Portland oder Spokane sind neue Migrationsziele, oft über bestehende Netzwerke organisiert.
Springdale, Arkansas: Heimat der größten marshallischen Community außerhalb des Pazifiks, rund 15.000 Menschen leben hier dauerhaft. Viele arbeiten in Geflügelverarbeitung oder Logistik.
Daneben gibt es kleinere Communities in Texas, Kalifornien, Missouri und Guam – und zunehmend auch in der mikronesischen Diaspora selbst: Chuukesen in Majuro, Palauer in Saipan, Marshallesen in Pohnpei.

Das Konsulat der Marshallinseln in der Innenstadt von Springdale, Arkansas. Foto: Brandonrush. Lizenz: CC BY-SA 2.0

Leben in der Zwischenwelt

Die Lebensrealität vieler Migranten ist ambivalent. Sie leben legal in den USA, haben aber keine US-Staatsbürgerschaft und oft keinen Zugang zu staatlicher Krankenversicherung, Wohnhilfe oder Sozialleistungen trotz Steuerzahlung.
In Bildungseinrichtungen stoßen viele Kinder auf kulturelle Barrieren: Lehrpläne ignorieren ihre Herkunft, Sprachbarrieren erschweren den Einstieg, und in Hawaii sind mikronesische Jugendliche überdurchschnittlich häufig von Schulabbrüchen betroffen.
Zudem erleben viele Mikronesier Diskriminierung und Rassismus, gerade in Hawaii, wo sie teils als „Micronesians“ abgewertet werden. Ein Sammelbegriff, der Identitäten nivelliert und mit negativen Stereotypen behaftet ist.

Netzwerke, Kirchen und Facebook-Gruppen

Trotz aller Hürden entstehen lebendige, resiliente Communities. Die Kirchen spielen eine zentrale Rolle: Sie bieten Halt, organisieren Hilfsnetzwerke, strukturieren den Alltag und werden oft zum Treffpunkt für Community-Veranstaltungen.

Auch Sport, besonders Fußball und Softball, bringt Menschen mit eigenen Turnieren, Trikots und Fans zusammen. Besonders sichtbar wird dieses Gemeinschaftsgefühl im Sommer 2025: Vom 11. bis 17. August richtet die Marshall Islands Soccer Federation in Springdale, Arkansas, den Outrigger Challenge Cup aus. Inklusive der ersten offiziellen Länderspiele der marshallischen Nationalmannschaft gegen die US Virgin Islands und Turks & Caicos. Für viele Marshallesen in der Diaspora ist dieses Turnier mehr als nur Sport: Es ist ein Moment der Rückverbindung mit der Heimat. Auch werden digitale und zivilgesellschaftliche Räume immer wichtiger: Organisationen wie die Oregon Micronesian Islander Coalition setzen sich für soziale Gerechtigkeit, Gesundheitsversorgung, Bildung und politische Teilhabe ein, oft aus der Community heraus, mit kultureller Verwurzelung und politischem Anspruch. Parallel dazu nutzen viele junge Mikronesier Plattformen wie TikTok, um ihre Geschichten zu erzählen.

Rücküberweisungen – der stille Geldfluss

Viele Migranten schicken regelmäßig Geld in Form von Überweisungen oder auch Versandpaketen mit Kleidung, Schuhen und Konserven nach Hause. Diese Überweisungen sind ein stilles Rückgrat vieler Inselökonomien, auch wenn sie selten in offiziellen Statistiken auftauchen.
Für viele Kinder auf den Inseln bedeutet ein Cousin in Arkansas Schulgebühren, ein neues Handy oder Essen auf dem Tisch. Für die Absender bedeutet es oft ein Leben am Existenzminimum.

Politische Unsichtbarkeit und neue Allianzen

Erst seit wenigen Jahren rücken COFA-Migranten langsam ins öffentliche Bewusstsein. In Arkansas fordern lokale Organisationen besseren Zugang zum Gesundheitswesen, eine faire Behandlung in Schulen und mehr politische Mitsprache.
2020 wurde die Medicaid-Sperre für COFA-Bürger aufgehoben – ein kleiner, aber symbolisch wichtiger Schritt. Gleichzeitig wächst eine neue Generation engagierter junger Menschen aus Mikronesien heran, die sich über TikTok, Instagram und Community Radio für Sichtbarkeit, Selbstbestimmung und Klimagerechtigkeit einsetzen.

Fazit: Mikronesien global denken

Die mikronesische Diaspora zeigt, wie Verflechtung, Abhängigkeit und Mobilität in der Pazifikregion heute gelebt werden. Migration ist dabei nicht nur Notlösung, sondern Ausdruck von Handlungsfähigkeit und Anpassung, auch wenn sie mit vielen Hürden verbunden ist.
Wer über Mikronesien schreibt, sollte nicht nur auf die Inseln schauen, sondern auch auf jene, die sie verlassen haben, aber ihre Kultur mitnehmen. Denn Mikronesien ist längst mehr als eine geografische Region. Es ist ein weltweites Netz aus Beziehungen, Erinnerungen und neuen Realitäten.

📌Videoempfehlung: Mikronesierinnen und Mikronesier in Hawaii „Hawaiʻi’s Micronesian Community“ (PBS Insights, 2021) In dieser einstündigen Diskussionsrunde sprechen Vertreter*innen der mikronesischen Community in Hawaii offen über Diskriminierung, Identität, Migration und gesellschaftliches Engagement. Trotz struktureller Hürden – etwa im Gesundheits- oder Bildungssystem – wird auch der Beitrag der Community zum kulturellen und sozialen Leben Hawaiis beleuchtet.
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