Tinta 1944: Ein japanisches Kriegsverbrechen auf Guam
Am 15. Juli 1944 ermordeten japanische Soldaten 16 Chamorus in einer Höhle an der Südspitze Guams. Heute ist Tinta ein Ort des Erinnerns und des Widerstands gegen das Vergessen.

Guams Süden ist üppig grün, sanft hügelig, gespickt mit Brotfruchtbäumen, Hibiskus und Kirchen. Nichts an der kleinen Tinta-Höhle bei Malesso‘ (früher Merizo) lässt erahnen, dass hier am 15. Juli 1944 eines der brutalsten Verbrechen der japanischen Besatzungszeit verübt wurde. 16 Menschen wurden von Soldaten der kaiserlichen Armee ermordet – mitten unter ihren Nachbarn, im Herzen ihres Heimatdorfes.
Guam unter japanischer Besatzung
Seit der japanischen Invasion im Dezember 1941 war Guam Teil des sogenannten Nanyō Gun (Südseemandats). Anders als die nördlichen Marianeninseln wie Saipan oder Tinian, die Japan bereits seit 1914 kontrollierte, wurde Guam erst durch einen Angriff auf US-Territorium annektiert. Ein symbolträchtiger Bruch mit den vorherigen Grenzen des japanischen Einflusses.

Die japanische Herrschaft über Guam war militärisch, kurz und repressiv. Während Saipan in den 1920er und 30er Jahren intensiv besiedelt und japanisiert worden war – mit Infrastruktur, Zivilverwaltung und über 30.000 japanischen Siedlern – blieb Guam ein reines Frontterritorium: ohne zivile Verwaltung, mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit und unter Kriegsrecht.
Diese Unterschiede hatten konkrete Folgen: Während auf Saipan viele Chamorus in das koloniale System eingebunden waren (z. B. in Schulen, als Landarbeiter oder Beamte), wurden die Menschen auf Guam überwiegend als potenzielle Gegner betrachtet. Mit der nahenden US-Invasion eskalierte dieses Misstrauen in gezielten Gewalttaten – wie dem Massaker von Tinta.
Das Massaker von Tinta
Im Juli 1944 war die US-Rückeroberung Guams bereits absehbar. In dieser Eskalationsphase führten japanische Truppen sogenannte „Vorbeugungsmaßnahmen“ gegen potenzielle Kollaborateure durch. Am 15. Juli befahlen Soldaten 30 Zivilisten – darunter alte Frauen, Jugendliche, eine Lehrerin – sich zur Arbeit in die Tinta-Höhle zu begeben. Dort eröffneten sie das Feuer und warfen Granaten. Nur 14 überlebten schwer verletzt, darunter die spätere Chronistin Maria Aguon. Die 16 Getöteten wurden nur wenige Meter vom Tatort entfernt begraben. Eine bronzene Gedenktafel listet alle 30 Namen – Opfer und Überlebende – auf. Am Folgetag, dem 16. Juli 1944, verübten japanische Soldaten in der Nähe von Merizo ein weiteres Massaker – das Faha-Verbrechen –, bei dem etwa 25 bis 30 Chamorus getötet wurden. Auch dieser Ort ist heute Teil der Erinnerungskultur Guams.
Nach der Rückeroberung: Erinnern und Überleben
Guam wurde am 21. Juli 1944 durch US-Truppen zurückerobert. Sechs Tage nach dem Massaker. In den Folgejahren geriet das Geschehene jedoch schnell in den Hintergrund: Der Wiederaufbau und die Rückkehr zum amerikanischen Status quo ante dominierten. Erst Jahrzehnte später begannen lokale Aktivisten, Tinta als Gedenkort zu etablieren.
Warum das Gedenken heute wichtig ist
Der jährliche Gedenkzeremonie am 15. Juli erinnert nicht nur an das Massaker, sondern auch an die über 1000 weiteren Chamorus, die unter der japanischen Besatzung starben. Es ist ein Akt kultureller Selbstvergewisserung, ein stiller Protest gegen das Vergessen. Und es ist ein Zeichen an die Welt, dass Guams Geschichte nicht auf Militärstützpunkte, Tourismus oder politische Abhängigkeit reduziert werden darf.
Erinnerungskultur auf Guam: Tinta und Faha
Neben Tinta gibt es mit dem Faha-Massaker (ebenfalls bei Merizo) einen zweiten Erinnerungsort. Beide wurden durch lokale Initiativen gepflegt, mit Gedenksteinen versehen und in Schulcurricula eingebunden. In jüngerer Zeit setzen sich auch junge Chamoru-Aktivisten für eine stärkere Sichtbarkeit ein, etwa durch digitale Gedenkkarten, Podcasts und Oral History-Projekte.
Fazit: Mehr als ein lokaler Gedenktag
Tinta steht exemplarisch für das Trauma kolonialer Gewalt, die Verflechtung von lokaler Erfahrung und globaler Geschichte. Für Guam, das bis heute keinen vollen politischen Status besitzt, ist das Erinnern an Orte wie Tinta ein stiller Akt des Widerstands und eine Einladung an Außenstehende, genauer hinzusehen.
Weitere Videos und Artikel zum Thema
📌 „Faha: A WWII Japanese MASSACRE on Guam“ (2023, History Traveler)
– Dokumentation über das Massaker von Faha am 16. Juli 1944, einen Tag nach Tinta, und seine Einbettung in die Geschichte der japanischen Besatzung Guams. 🎥 YouTube-Link zum Video
📌 „Honoring the Chamorus who perished, survived the WWII Tinta & Faha Massacres“ (2025, Guam Pacific Daily News)
– Aktuelles Video vom 15. Juli 2025 mit Eindrücken vom Gedenkgottesdienst in Merizo, bei dem die Opfer und Überlebenden in stiller Andacht geehrt wurden. 🎥 YouTube-Link zum Video
📌 Guampedia – „War Atrocities: Tinta and Faha Massacres“