Wake Island: Militärbasis, Mahnmal, Niemandsinsel

Ein abgelegenes Korallenatoll im nordwestlichen Pazifik – heute kaum mehr als ein geostrategischer Außenposten der Vereinigten Staaten. Ohne ständige Bevölkerung, abgeschnitten vom zivilen Verkehr und rechtlich ein nichtinkorporiertes US-Außengebiet: Willkommen auf Wake Island.

Wake Island von oben – einst Kriegsschauplatz, heute kaum bewohnter US-Stützpunkt mitten im Pazifik. Bildquelle: https://www.flickr.com/photos/nasa2explore/8090920417/

Geografie und Lage

Wake Island liegt isoliert zwischen Hawaiʻi und Guam, rund 2.300 km westlich von Honolulu und etwa 950 km nordwestlich von Likiep im heutigen Staatsgebiet der Marshallinseln, die Wake symbolisch als Enen-kio beanspruchen. Das Atoll besteht aus drei kleinen Landkörpern – Wake (die Hauptinsel), Wilkes und Peale – die einen flachen Lagunenring bilden. Mit einer Gesamtfläche von etwa 7,4 km² ist Wake winzig, aber strategisch günstig gelegen: am westlichen Rand der Datumsgrenze, mitten im militärisch sensiblen Westpazifik. Trinkwasserquellen gibt es keine, das Klima ist heiß und trocken. Die größte „Infrastruktur“ ist die Start- und Landebahn, die fast die gesamte Hauptinsel einnimmt.

Frühe Geschichte und kolonialer Kontext

Anders als viele Atolle in Mikronesien wurde Wake vermutlich nie dauerhaft von pazifischen Gesellschaften bewohnt. Europäisch entdeckt wurde es 1568 vom spanischen Seefahrer Álvaro de Mendaña, der die Insel wegen ihrer Abgeschiedenheit unbeachtet ließ. Erst im späten 19. Jahrhundert, als imperiale Mächte den Pazifik systematisch unter sich aufteilten, rückte Wake in das geopolitische Blickfeld.

Nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898 annektierten die USA Wake am 4. Januar 1899, bewusst vor dem deutsch-spanischen Vertrag über die Karolinen, Palau und die nördlichen Marianen. Kosrae, das geopolitisch zunächst als attraktiverer Zwischenstopp galt, ging an das Deutsche Reich. Wake hingegen wurde von den USA als Flugpost- und Telegrafenstützpunkt erschlossen, später von Pan American Airways für den transozeanischen Luftverkehr genutzt.

Der Pazifikkrieg: Belagerung, Besatzung, Kriegsverbrechen

Im Dezember 1941 wurde Wake Island innerhalb weniger Tage vom Vorposten der US-Marine zur Frontlinie. Japanische Truppen versuchten kurz nach dem Angriff auf Pearl Harbor, die Insel zu erobern. Die Verteidiger, ein kleiner Verband von US-Marines und zivilen Bauarbeitern, leisteten erbitterten Widerstand, bevor sie am 23. Dezember kapitulierten.
Die folgende japanische Besatzung dauerte bis 1945. Während dieser Zeit wurden die verbliebenen Zivilisten zur Zwangsarbeit gezwungen. Als US-Bombardierungen zunahmen, verübten japanische Soldaten eines der schlimmsten Kriegsverbrechen auf amerikanischem Territorium: Im Oktober 1943 wurden 98 US-Zivilisten, die sich noch auf der Insel befanden, auf Befehl des Kommandanten massakriert. Heute erinnert ein schlichtes Denkmal mit der Inschrift “98 Rock” an dieses Verbrechen.

Ausgestorben: Die Wake-Ralle – ein Opfer des Krieges

Wake Island war einst Heimat einer endemischen Vogelart: der Wake-Ralle (Hypotaenidia wakensis), einem flugunfähigen, bodenbewohnenden Vogel aus der Familie der Rallen. Sie war perfekt an die karge Inselumgebung angepasst, ernährte sich von Insekten, kleinen Wirbellosen und pflanzlichem Material – und hatte keine natürlichen Feinde.
Doch mit dem Zweiten Weltkrieg kam das Ende: Die japanische Besatzung brachte nicht nur Bombardierungen und Zwangsarbeit, sondern auch Haustiere wie Katzen und Ratten auf die Insel und die Wake-Ralle wurde innerhalb weniger Jahre ausgerottet. Die letzte bestätigte Sichtung stammt aus dem Jahr 1945. Seither gilt die Art als ausgestorben.
Die Wake-Ralle steht exemplarisch für viele Vogelarten Ozeaniens, die der Kombination aus eingeschleppter Fauna und menschlicher Zerstörung nicht standhalten konnten.

Wake-Ralle (Hypotaenidia wakensis). Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Wake-Ralle

Kalter Krieg und militärische Nutzung

Nach Kriegsende wurde Wake zu einem Stützpunkt der US-Luftwaffe und ein wichtiges Glied im strategischen Netzwerk der Vereinigten Staaten im Pazifik. Während des Kalten Krieges diente die Insel als Notlandeplatz für Flugzeuge, Wetterstation und logistische Drehscheibe – unter anderem bei der Evakuierung vietnamesischer Kinder im Rahmen der „Operation Babylift“ 1975.
Im Laufe der Jahrzehnte verlor Wake an praktischer Bedeutung, blieb aber militärisch relevant. Heute wird die Insel vom United States Air Force Regional Support Center auf Hawaii verwaltet. Eine kleine Zahl technischer und militärischer Mitarbeiter ist vorübergehend stationiert, eine dauerhafte zivile Bevölkerung gibt es jedoch nicht.

Politischer Status und Territorialansprüche

Wake ist ein nichtinkorporiertes, unorganisiertes Außengebiet der Vereinigten Staaten. Das bedeutet: Die Insel gehört zwar den USA, ist aber kein Bestandteil der Union im verfassungsrechtlichen Sinne. Es existiert keine eigene Verwaltung, kein öffentliches Leben, keine Lokalpolitik. Rechtlich gilt Wake als „unorganized territory under exclusive federal jurisdiction“.
Seit den 1990er-Jahren erhebt die Republik der Marshallinseln symbolischen Anspruch auf Wake (in ihrer Sprache: Enen-kio), was auf historische Navigationsverbindungen und politische Rahmungen im Zuge der Unabhängigkeit zurückgeht. Die USA erkennen diesen Anspruch nicht an.

Erinnerung und Bedeutung

In der US-Geschichtsschreibung gilt Wake Island als das „Alamo des Pazifiks“. Ein Ort heldenhaften, aber letztlich vergeblichen Widerstands. Das Kriegsverbrechen von 1943 hat eine eigene Erinnerungsdimension, ist jedoch außerhalb amerikanischer Militärkreise kaum bekannt. Auf den Marshallinseln hingegen spielt Wake als Erinnerungsort oder Thema der öffentlichen Debatte nur eine marginale Rolle.

Secret War News Military Comic, March 1942. From the Herbert Freuler Collection (COLL/5550) at the Archives Branch, Marine Corps History Division. Bildquelle: https://www.flickr.com/photos/usmcarchives/32349172066

Gegenwart und Zukunft

Heute ist Wake Island ein seltsamer Ort: abgesperrt, funktional, gleichzeitig ein Relikt des Kalten Krieges und potenzieller Schauplatz künftiger Großmachtkonflikte. Im Kontext wachsender Spannungen zwischen den USA und China wird die Insel wieder vermehrt in sicherheitspolitischen Diskussionen erwähnt, als „reaktivierbarer“ Vorposten im Westpazifik.
Doch der Zugang bleibt streng limitiert, zivile Nutzung ist nicht vorgesehen. Wake ist keine bewohnte Insel, sondern ein militärischer Raum mit historischem Schatten.